Bis zu 25 GB im Monat an Datenvolumen – Telefónica stößt mit den neuen O2 Free Tarifen ab dem 6. September endlich in Gefilde vor, die in anderen europäischen Ländern längst Gang und Gäbe sind. Doch mächtig aufgebohrte LTE-Tarife sind nur die eine (bescheidene) Seite der „Mobilen Freiheit“, wenn damit kein qualitativer Netzausbau einhergeht.
Auf dem ersten Blick kann man wirklich beeindruckt sein: so wird etwa der O2 Free M-Tarif von derzeit zwei auf üppige zehn GB LTE-Datenvolumen ausgeweitet und der bisherige reguläre Preis von 34,99 € auf 29,99 € gesenkt.
Vergleich: Alte und neue O2 Free-Tarife
Vergleichbar günstige LTE-Tarife sucht man bei den anderen großen Anbietern im Grunde vergeblich. Bei Vodafone etwa kostet der Red L-Tarif (derzeit 8 GB + 4 GB geschenkt) in den ersten 12 Monaten 36,79 €, danach 46,79 €. In allen Tarifen von O2 ist zudem die Option „unendliches Surfen“ aktiviert. Nachdem euer LTE-Datenvolumen aufgebraucht wurde, stehen euch immerhin 1000 Kbit/s anstatt der üblichen 32 oder 64 Kbit/s zur Verfügung.
Bedenkt man zudem, dass aktuell noch der 15 GB O2 Free Aktionstarif angeboten wird, kann man dem Unternehmen eigentlich nur zur Quadratur des Kreises gratulieren. Aber jetzt kommt das „große Aber“. Beziehungsweise eine ganze Latte an Einschränkungen, wenn man es einmal wagt, den Blick auf das Kleingedruckte oder auf den europäischen Markt zu richten. Ich weiß, ist aktuell nicht populär in Deutschland. Europa macht ja nur Probleme.
Der Einsteiger-Tarif O2 Free S bleibt beim Datenvolumen unverändert und damit imho überteuert: ein GB zum Preis von knapp unter 20 Euro – hier dürften Discounter mitunter besser geeignete Angebote im Portfolio haben, auch wenn die LTE-Option in der Regel fehlen sollte. Letztlich ist es aber müßig darüber zu spekulieren, welcher Kunde bei welchem Tarif welche Surfgeschwindigkeit braucht. Das ist selbstredend eine Entscheidung, die man ganz allein fällen muss.
Die zweite Einschränkung im LTE-Datenwahn räumt O2 immerhin selbst ein, wenn auch erst im Kleingedruckten: die theoretisch verfügbare Maximalgeschwindigkeit von 225 MB/s wird im Durchschnitt nicht ansatzweise zur Verfügung gestellt: mit 13 MB/s sollen Endkunden im Schnitt in LTE-Netzen unterwegs sein. Das ist in etwa so, wie wenn ein Autohersteller einen Sportwagen herstellt, aber darauf hinweist, dass man damit höchstens im dritten Gang herumfahren kann.
Schnell unterwegs sein gelingt deutschlandweit nur bedingt, wenn auch besser als noch vor ein, zwei Jahren. Telekom und Vodafone sind im Netzvergleich von Chip auch 2017 weiterhin deutlich überlegen. Ob sich durch die massenhafte Akquirierung neuer Kunden wie sie durch diese Daten-Offensive zu erwarten ist, etwas an der chronisch schlechten Situation in den hoffnungslos überlasteten O2-Netzen in absehbarer Zeit etwas ändert, wage ich zu bezweifeln.
Der gesunde Menschenverstand lässt mich glauben, dass sich die Situation eher noch verschlechtern wird.
Es ist zwar schon ein paar Jährchen her, symptomatisch bleibt mir aber eine Szene im Gedächtnis haften, die ich damals in München vor der O2-Zentrale regelmäßig erlebte: wenn ich dort zu Besuch war, hatte ich im Umkreis des imposanten O2-Turms keinen Empfang. Die Antwort auf die Frage, bei welchem Netzanbieter ich einen Vertrag unterzeichnet hatte (natürlich O2) geriet hierbei zum ironischen Running Gag.
Wenn ich heute einmal quer durch die Stuttgarter City mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin – U-, Straßen- oder S-Bahn– so habe ich in knapp einer halben Stunde in der Regel höchstens für ein Dutzend Minuten überhaupt so viel Netzsignal, um eine neue Seite im Browser aufzufrischen. Das sollte im Jahre 2017 in einer Großstadt (ja ich weiß, Stuttgart 21 und Kessellage) nicht der Fall sein. Meine 12 GB Volumen bekomme ich damit kaum aufgebraucht – zuhause nutze ich meinen Breitbandanschluss.
Bleibt also wenigstens der Preis, über den man sich freuen darf? Ja. Nein. Jein. Nö, eigentlich nicht. Zwar sind die Preise deutschlandweit betrachtet sehr günstig, die Konkurrenz im Inland dürfte das aber nicht lange auf sich sitzen lassen. Wenn man sich zudem anschaut, wie viel man im Ausland im Vergleich zum gleichen Preis bekommt, dann sind die in Deutschland von den Mobilfunkanbietern aufgerufenen Preise immer noch zu hoch für die gelieferte Leistung.
Der Blick über den Tellerrand: LTE-Tarife in anderen europäischen Ländern
Vorweg: mir geht es gar nicht darum, den deutschen Markt pauschal zu verteufeln, eine naive Auslandsaffinität oder plumpes Providerbashing zu betreiben, zumal ich den Ansatz von O2 als Vorstoß in die richtige Richtung ausdrücklich begrüße. Aber selbst wenn man Standort-, Wirtschaft- und Kaufkraftfaktoren mit berücksichtigt: ob in Süditalien am übervölkerten Strand oder in Glasgow in der Fußgängerzone: wer ab und an im Ausland unterwegs ist, wird sich wundern und freuen, wie schnell und komfortabel man mobil unterwegs sein kann. Zumindest wenn man vorher als Vergleich den Empfang unterm O2-Turm gewohnt war (sorry, kleiner Seitenhieb!).
Ich habe einmal die Preise für vergleichbare LTE-Tarife in den drei anderen großen Volkswirtschaften der EU (solange der Brexit noch nicht durch ist) Großbritannien, Italien und Frankreich genauer in Augenschein genommen. Ich habe bei den großen Mobilfunkprovidern nach Tarifen um 30 Euro respektive 25 Pfund geschaut, welchen Gegenwert man hierfür als Kunde bekommt. Der Vergleich zeigt: der O2 Free M Tarif mit 10 GB wird allein von den zur Verfügung gestellten Daten deutlich unterboten. So erhält man bei O2 UK zum Preis von 20 Pfund (aktuell noch um 21,75 Euro) die doppelte Datenmenge, also 20 GB Datenvolumen. Bei Vodafone bekommt für 25 Pfund 25 GB, von Extras wie einem 12-monatigen Abo für Spotify oder Sky Sports ganz abgesehen. Bei französischen oder italienischen Tarifen gibt es teilweise noch wesentlich drastischere Unterschiede.
Wichtige Aspekte, die man nicht vernachlässigen darf: die meisten ausländischen Provider haben zudem deutlich günstigere LTE-Tarife im Angebot. Die von mir ausgewählten Vergleichstarife bildeten preislich meist bereits die obere Fahnenstange, während der O2 M-Tarif hierzulande eher die untere Preisklasse darstellt. Ausländische Provider locken mit deutlich günstigeren Angeboten um 10 Euro, mit denen viele Kunden deutlich besser (schneller!) als hierzulande unterwegs sind.
Weit verbreitet sind zudem Angebote mit monatlicher Kündigungsfrist, die dem Verbraucher erlauben, Anbieter nach Bedarf und gebotener Leistung kurzfristig auszuwählen.
Die hier in Deutschland übliche Vertragslaufzeit von 24 Monaten hingegen dürfte dafür sorgen, dass sich der ein oder andere Anbieter nach getaner Arbeit (Vertragsabschluss) ein wenig auf seinen Lorbeeren ausruht. Müssten Telekom, Vodafone oder O2 dagegen monatlich um ihre Vertragskunden buhlen, würde sich auch hierzulande die Preisentwicklung zu Gunsten der Nutzer umkehren.
Fazit: Schritt in die richtige Richtung, wenn der Druck steigt
Die neuen Tarife mögen, was die Quantität der hierzulande üblichen LTE-Tarife angeht, der überfällige Schritt in die richtige Richtung sein. Es wäre wünschenswert, wenn auch die anderen zwei großen Mobilfunkanbieter mit ähnlichen Angeboten den Wettbewerb ankurbeln. Die Hoffnung bleibt, das dadurch in absehbarer Zukunft der Anschluss an das europäische Niveau gelingen kann.
Was die Qualität der dargebotenen Leistung angeht, steht uns indes in Deutschland im Allgemeinen und im Besonderen bei O2 noch ein weiter Weg bevor. Die LTE-Nezte müssen ausgebaut werden, so dass flächendeckend ein stabile und schnelle Mobilfunknetze zur Verfügung stehen, die sich nicht nur auf wenige Großraumgebiete beschränken, und wie bisher schnell an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Während wir in Deutschland bereits froh sind, mit einem Bruchteil der von LTE/4G zur Verfügung gestellten Geschwindigkeit surfen zu können, nimmt anderswo bereits die nächste Ausbaustufe konkrete Formen an. Der italienische Anbieter Fastweb etwa plant, ab 2018 seinen Kunden die nächste Ausbaustufe 5G mit bis zu 1 Gigabit/s zur Verfügung zu stellen. Vodafone kann bereits bereits jetzt in einigen Städten der Apenninen-Republik bis zu 800 Megabit/s anbieten, nebenbei bemerkt bei einer Netzabdeckung von 97,2% für das konventionelle 4G-Netz. Und trotzdem wird dort und auch anderswo das Netz kontinuierlich ausgebaut und neue Technologien eingeführt. In Anbetracht dieser Zahlen dürfte die Kanzlerin mit ihrer verunglückten Bezeichnung des Internets als technologisches Neuland vielleicht doch nicht ganz Unrecht gehabt haben.
Dass die Entscheidung für einen der O2 Free Tarife nicht zwingend zu einer revolutionären mobilen Freiheit für den Kunden führen muss, sondern sich unter Umständen auch als zweigschneidiges Schwert herausstellen kann, darf beim allem Lob nicht außer Acht gelassen werden. Immerhin ist es um den Kundenservice bei O2 nicht immer zum Besten bestellt. Die Häufung von Beschwerden bei der Bundesnetzagentur dürfte bei dieser jüngsten Datenoffensive die ein oder andere Rolle gespielt haben. So berichtet das Handelsblatt erst kürzlich darüber, dass der wachsende Ärger über Hotlines selbst die Bundesregierung alarmiert hätte, und diese entsprechenden Maßnahmen in Betracht zieht. Andererseits legen entsprechende Beschwerden bereits seit geraumer Zeit der deutschen Regulierungsbehörde vor, ohne dass dem signalisierten Handlungsbedarf jemals Konsequenzen gefolgt wären.
So sieht man sich als Kunde oftmals alleingelassen und muss annehmen, was von den Mobilfunkanbietern hierzulande als ein Akt der selbstlosen Güte angeboten wird.
Wünschenswert wären Schritte zur Umgestaltung der Vertragsverhältnisse, damit Kunden hierzulande wieder zu Königen werden und nicht zu Bittstellern.
Einjahresverträge oder monatlich kündbare Tarife sollten die Regel darstellen, nicht die als Option dargebotene und entsprechend preislich deutlich weniger attraktiv gestaltete Ausnahme.
So könnte man bei Ausbleiben einer zufriedenstellenden Leistung problemlos den Vertrag kündigen. Der Kunde würde durch seine Kündigung darüber entscheiden, welche Leistung für den aufgerufenen Preis gerechtfertigt ist. Bleibt ein Provider hinter den Erwartungen zurück, folgt die Kündigung auf dem Fuß, ohne dass sich veränderte Kunden stundenlang durch Warteschlangen quälen müssen um eine Verbesserung ihrer Situation zu erwirken. Oder eben den Vertrag aussitzen müssen. Der oft beschworene, aber seltsamerweise selten real umgesetzt freie Wettbewerb könnte den Netzausbau anregen, so wie es im europäischen Ausland aufgezeigt der Fall ist.