Nun also, mit einem Jahr Verspätung, schafft es Night In The Woods auf die Nintendo Switch. Macht aber überhaupt nichts, denn ich kannte das Adventure Spiel von Infinite Fall bis dato noch gar nicht. Fast hätte ich eines der faszinierendsten Spiele der letzten Jahre verpasst. Kann euch ja nun nicht mehr passieren, zumindest habt ihr keine Ausrede mehr.
Unsicherheit, Ungewissheit -Elemente, die in Night In The Woods und für dessen Hauptdarstellerin, Mae, eine 20-Jährige mit gerade frisch abgebrochenem College, eine tragende Rolle spielen.
Eines Nachts kommt sie, offenbar einen Tag früher als erwartet, am Bahnhof ihrer Heimatstadt Possum Springs an. Niemand, der sie erwartet, gar abholen würde. Der Bahnhof dieser Kleinstadt, ist menschenleer, bis auf einen stoischen Hausmeister, der ungerührt seiner Aufgabe nachgeht, die Reparatur einer klemmenden Tür, die euch den Ausgang verwehrt.
Ihr kommt dem Stoiker zu Hilfe und übernehmt somit den ersten Auftrag, bringt ihm eine Cola aus dem klemmenden Automaten. Kurz darauf, oh Wunder, ist die Tür repariert und ihr seid Entlassen in die Nacht des dunklen, einsamen Waldes.
Ihr macht euch auf den Weg nach Hause, wo Mum und Dad in ihrem Alltagstrott gefangen, euch nicht erwarten. Spätestens, als ihr zum ersten Mal den titelgebenden Wald passiert und die spärlich verteilte und punktuell einsetzende Musik zum ersten Mal erklingt, breitet das von Infinity Falls entwickelte Spiel seine Faszination aus.
Was hat Mae nur verbrochen?
Es ist kein gewöhnlicher, kurzer Besuch zu Hause über das Wochenende. Mae Borowski ist zurück, weil sie das College an den Nagel gehängt hat. Warum, ist eine der Fragen. Eine andere, was sie denn angestellt haben könnte in dieser öden, Kleinstadt, von der Schließung der Kohlebergwerke und der stagnierenden Wirtschaft betroffen, irgendwo in den Vereinigten Staaten.
Kleinstadtgerede, exzellent eingefangen und in den vielen Dialogen, die ihr mit zahlreichen NPCs führen könnt und führen müsst, auf den Punkt umgesetzt, lassen ein sehr (un-)deutliches Bild entstehen.
Es gibt den granteligen alten Nachbar, der euch für die Ausgeburt des Teufels hält. Oder den ehemaligen Highschool-Lehrer, der euch mag, obwohl ihr keine Vorzeigeschülerin wart. Aber insgesamt überwiegt das Unbehagen. Scheitern steht euch ins Gesicht geschrieben. Das Gefühl, in das Kaff zurückkehren zu müssen, dass ihr zwei Jahre vorher verlassen habt. Die Rückkehr ist das Eingeständnis eures Versagens, des „den Absprung-nicht-geschafft-haben“-Gefühls.
https://youtu.be/u17kM8oSz3k
Nach einer Weile im Alltagstrott gefangen, merkt ihr, dass tatsächlich mit ihr etwas nicht in Ordnung ist. Ihr trefft euch mit alten Freunden, darunter die düstere, aber intelligente Beatrice „Bea“ Santello, der hyperaktive anarchistische Unruhestifter Greggory „Gregg“ Lee und Greggs ruhiger, bescheidener Freund Angus Delaney. Mae erfährt auch, dass ein anderer ihrer alten Freunde, Casey Hartley, auf mysteriöse Weise verschwunden ist.
Sie hat nicht gerade die Charakterzüge der klassischen Chearleaderin an sich, der Weinkönigin (käme sie aus einem pfälzischen Kaff) oder Dorfschönheit. Mae ist zynisch, ironisch, voller Selbstzweifel. Sie mag (manche) Menschen nicht und hält nicht lange mit ihrer Meinung hinterm Berg.
Kurzum, sie ist ein Charakterkopf, keine klassische Heldin, die euch die Identifikation erleichtert, euren Beschützerinstinkt weckt, so wie Max Caulfield in Life Is Strange. Sie zwingt euch zum Nachdenken, auf die lauten und (vor allem) leisen Zwischentöne zu achten. Zu schauen, was nicht stimmt mit dieser Stadt und mit Mae.
Und täglich grüsst…
…die Mamma, am Abend ist der Papa dran. Der ist zu faul (wie ihr), die Kisten wegzuräumen, die euch auf dem Dachboden den Weg versperren. Was da wohl auf euch wartet? Also macht ihr auf liebe Tochter und schaut mit ihm eine Runde Fernsehen – ein unsägliches Comiker-Duo bietet flache, triviale Unterhaltung vom Feinsten, macht euch bettfertig und mürbe.
Zurück in eurer Zimmer habt ihr die Möglichkeit wahlweise gleich ins Bett zu gehen, Gitarre zu spielen (läuft ab wie in Guitar Hero – es ist eine Qual) oder noch eine Runde den Computer anzuschmeißen. Hier könnt ihr mit euren alten Freunden Chatten (alle auf ihre Art nicht mehr ganz sauber) oder in einem vollständig programmierten 80er-Jahre-Hack ‚N Slay (Demontower) auf Monsterjagd gehen.
Im gesamten Spiel sind viele Aktionen als Mini-Game eingebaut, und damit für Abwechslung sorgen. Wenn ihr endlich ins Bett fallt, beginnen die seltsamen und lebhaften Träume, die euch immer häufiger und intensiver heimsuchen.
Don’t judge a book by its cover und den manchmal dämlichen Mini-Spielchen
In insgesamt vier Kapiteln stößt ihr auf viele kleine Geheimnisse eurer Stadt sowie eurer besten Freunde Bea, Gregg und Angus, die sich nur oberflächlich betrachtet in der Zeit eurer Abwesenheit unverändert blieben. Trotz Cartoon-Stil und tierähnlicher Charaktere greift Night in the Woods ernsthafte Themen der Vergänglichkeit und Fragilität des Lebens auf. Außerdem kombiniert der Titel verschiedene Spielmechaniken, darunter Adventure, Platformer und Arcade – es gibt sogar Messerkämpfe.
Night in The Woods ist ein universales coming-of-age-Erlebnis, aber es spielt in einer toten Stadt und scheint für Mae in eine Sackgasse zu führen, aus deren lähmenden Lethargie sie sich nicht ohne Weiteres befreien kann.
Dialoge könnt ihr nicht nach der einfach gestrickten Logik (ich überlege kurz und suche die passende, diplomatische Antwort aus) führen, die alle Probleme in Luft auflöst. Manche, nein viele, Gespräche enden im Fiasko und ihr seid gezwungen, mit anzusehen, wie sich Mae nicht aus ihrer Rolle lösen kann. Sie kommt nicht weiter, sie scheitert. Das macht für mich den Charme des Spiels aus. Hinter der besagten Optik und dem casual game-Prinzip verbirgt sich ein Grad an Realismus, eine Ehrlichkeit, die man ansonsten in Videospielen selten findet.