Stellt euch vor, es ist Pressekonferenz und keiner guckt hin. Wie erwartet, wurde das LG V20 vorgestellt– das erste Smartphone, das ab Werk mit Android 7.0 Nougat ausgeliefert wird.
Noch diesen Monat wird es in Südkorea erhältlich sein und wahrscheinlich den Weg gehen, den auch das LG G5 genommen hat: trotz heftigem Bashing werden Samsung und Apple ihre neuen Geräte wie warme Semmeln unters Volk bringen und die LGs nur wenig später für (k)ein „Apple und ’nen iPhone“ von der großen Masse unbeachtet in einer Ecke des lokalen Elektromarkts verscherbelt. Dabei bietet LG seit Jahren mit die interessantesten Flaggschiff-Smartphones an.
Aus AL6013 gefertigt, wie sonst nur Flugzeuge, Mountain Bikes und andere Geräte, soll das LG V20 so manchen Droptest und Bend-It-Like-iPhone-Marathon über sich ergehen lassen können. Fallhöhen von 4 Fuß respektive 1,20 m soll das neue Smartphone der Südkoreaner schadlos überstehen. Das ist an sich kein (besonderes) Alleinstellungsmerkmal, twittert doch Samsung bereits beim S6 über die besondere Hartnäckigkeit seiner Geräte:
„The metal is actually Al 6013, which is used for planes, mountain bikes, windsurfing poles and other sports-related products.“ Lee Jiyoung
— Samsung Mobile (@SamsungMobile) 2. März 2015
Wie der Vorgänger LG V10 belässt man es nicht nur bei einem Display (5,7 Zoll IPS-Quantum bei QHD-Auflösung), sondern packt eine zweite Mattscheibe mit dazu, die dieses Mal rund 50% größer ausfällt. So wird man auch als Fielmann-Kunde eingehende Benachrichtigungen besser ablesen können. Diese können nun beim Eingang auf dem Second Screen auf Wunsch komplett dargestellt und direkt beantwortet werden.
In einem gesättigtem Markt setzt LG ganz auf innere Werte und verpasst seiner neusten Kreation weitere hochwertige Features. Audiophile Freunde sollten bei 32-bit Hifi Quad DAC aufhorchen, so dass hochwertige Audioformate wie FLAC, ALAC oder DIFF abgespielt werden können. Ob das bei der Qualität mancher U-Bahn-Beschallung zum Tragen kommt, wage ich aber an dieser Stelle zu bezweifeln. Na ja, im Zweifelsfall ist der Krach also verlustfrei komprimiert worden –B&O PLAY-Lautsprecher sollten hierbei ihr Übriges tun.
Auch was Foto- und Videotechnik angeht, hat LG reichlich geklotzt und nicht gekleckert: Dual-Kameras auf der Rückseite, sprich 16 Megapixel mit einer 75 Grad-Linse im Verbund mit einer 8 MP (135 Grad) sollten einmal mehr für scharfe und natürliche Bilder sorgen. Auf der Frontseite steht eine 8 MP-Kamera für Selfies und HD-Videotelefonie zur Verfügung.
Autoshot ist mit dabei, sprich: macht ihr die Fresse auf setzt ihr zum Lächeln an, verpasst euch das V20 einen Haken macht das Smartphone automatisch ein Selfie von euch. Sowohl für Fotos, als auch Videos stehen diverse Autofokus- und Messverfahren zur Verfügung, die optimales Bildmaterial liefern – vorausgesetzt natürlich, ihr seht nicht aus wie ein Eimer oder filmt eine Müllkippe. Aber Schönheit liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters.
Der Autofokus zum Scharfstellen während eurer zappeligen Bewegungen ist lasergesteuert, ebenso wird der Kontrast lasergestützt optimiert. Ein optischer Bildstabilisator (OIS 3.0) ist selbstredend mit am Start. Das V20 soll bei Videoaufnahmen unerwünschte Störgeräusche automatisch erkennen und herausfiltern (Low Cut Filter LCF). Wie gut das klappt, ist eine interessante Frage.
Last but not least ein paar Worte zum Betriebssystem: ausgeliefert wird das V20 mit der auf Android 7.0 Nougat basierenden LG UX 5.0+. Das „+“ im Namen soll zeigen, dass es sich um eine verbesserte Version der Oberfläche handelt, die vor knapp einem halben Jahr mit dem LG G5 eingeführt wurde.
Insgesamt hat LG eine ganze Menge – vielleicht auch viel zu viel – in das V20 gepackt, so dass die Wunderwaffe gar nicht anders kann als zu versagen. Was Austattung, Features und Funktionen angeht, macht so schnell niemand LG etwas vor. Sowohl gegenüber der billigen Konkurrenz aus China, als auch im Vergleich zur hochwertigen Konkurrenz aus dem Apple- und Samsung-Lager steht man nicht gerade mit leeren Händen da.
Spontan fällt mir aber nicht ein, welche Nische das LG V20 besetzen könnte: Puristen greifen zu den Google Nexus-Devices, „Freaks“ zu OnePlus, Lifestyle-Fetischisten vielleicht zu Sony, interessierte Sparfüchse zu den zahlreichen Geräten aus Fernost und den großen Rest vom Kuchen teilen sich sowieso Apple und Samsung untereinander aus.
Mal ehrlich, könnt ihr euch vorstellen, dass die Einführung eines neuen LG-Smartphones den Fernsehsendern eine Nachricht wert wäre? Nur ein spontanes Beispiel: Obwohl auf dem ersten Blick negativ, erfährt die große Masse, dass Samsung mit dem Galaxy Note 7 ein neues Modell eingeführt hat oder das irgendein Iphone-Modell nicht abhörsicher genug ist oder sich in der engen Lederhose verbiegt, wenn man sich sturzbetrunken auf dem Oktoberfest auf die Bierbank schmeisst. Aber LG-Smartphones? Die sind nicht einmal eine Randnotiz. Ganz davon abgesehen, dass LG das Thema Marketing unf Promotion vielleicht vorsichtig ausgedrückt einmal zumindest überdenken sollte, ist es den Südkoreanern nicht gelungen, begehrenswerte Smartphones herzustellen, für die man bereit ist eine Menge Geld auszugeben. Obwohl spätestens seit dem LG G2 die Flaggschiff-Modelle über jeden Zweifeln erhaben waren, ist der ganz große Durchbruch zur Spitze hin – zumindest hier in Deutschland– nicht gelungen. Mit dem LG V20 wird man aller Wahrscheinlichkeit nach die Trendwende abermals nicht schaffen.